Kinderkrebs Schweiz: Schulische Integration ist wichtig

Für krebskranke Kinder und Jugendliche spielt die Schule eine besonders wichtige Rolle. Denn sie bedeutet die Rückkehr in den Alltag und in die Normalität. Sie gibt Halt und Sicherheit, ist sozialer Dreh- und Angelpunkt und eröffnet Zukunftsperspektiven. Ob die schulische Integration während und nach der Therapie gelingt, ist jedoch Glückssache. Denn trotz aller Bemühungen gibt es grosse kantonale und regionale Unterschiede. Der Weg zu einem Schulsystem, das allen schwer kranken Kindern gleiche Bildungschancen bietet, ist deshalb noch weit. Darunter leiden auch krebskranke Kinder und ihre Eltern.

Schule ist mehr als nur ein Ort der reinen Wissensvermittlung. Sie steht für Alltag und Normalität und fördert die Persönlichkeitsentwicklung. Jungen Menschen mit Krebs gibt der Unterricht in vertrauter Umgebung ein Gefühl der Stabilität und Zugehörigkeit, macht Hoffnung auf ein Leben nach dem Krebs und wirkt sich dadurch positiv auf ihr seelisches Wohlbefinden und den Heilungsprozess aus. Dabei spielen insbesondere Freundschaften im schulischen Kontext eine bedeutsame Rolle. Gelingt die Rückkehr in die Schule nicht, können abgebrochene Schullaufbahnen, unerfüllte Berufswünsche und psychosoziale Folgen, wie Angstzustände, Depressionen und Vereinsamung die Folge sein. «Mangelnde Kenntnisse über die Krankheit und deren zum Teil massiven Spätfolgen sowie fehlende klare Richtlinien, damit krebskranke Kinder den Anschluss nicht verlieren und gleichberechtigte Bildungschancen erhalten, können die Zukunftsperspektiven der Betroffenen erheblich beeinträchtigen», so Valérie Braidi-Ketter, CEO von Kinderkrebs Schweiz.

 

Ich unterstütze die Kampagne von Kinderkrebs Schweiz und möchte für das Thema sensibilisieren. Deshalb führe ich hier ein Interview mit Julia (24), um einen Einblick in das Leben eines Survivors zu geben. Sie studiert Jura im 5. Semester und lebt in einer Wohngemeinschaft in Bern. Mit 15 Jahren erkrankte sie an Knochenkrebs.

 

Hallo Julia. Du hattest als Jugendliche Krebs, erzähl mir wie und in welchem Alter der Krebs entdeckt wurde.

Mit 15 Jahren wurde bei mir Knochenkrebs im linken Oberschenkel entdeckt. Er hatte keine Metastasen entwickelt, wurde also noch genug früh entdeckt. Das bedeutete: Bessere Heilungschancen, eine bessere Prognose.

Wie hast du es denn gemerkt?

Ich hatte schon länger Schmerzen im Bein. Wir dachten an Wachstumsschmerzen. Es wurde aber immer schlimmer. Damals habe ich Tennis gespielt, einmal ging ich dann mit starken Schmerzen zum Training. Da schwoll mein Bein enorm an, und ich merkte, dass etwas nicht stimmte. Abends sind wir in die Notaufnahme, und es war relativ schnell klar, dass es ein bösartiger Tumor ist.

Ich bin heute froh, dass der Tumor relativ schnell erkannt wurde. Ich kenne andere Geschichten, wo der Krebs zu spät oder nicht sofort erkannt wurde und man mit einer früheren Diagnose vieles hätte verhindern können.

Wie war dann die Therapie?

Es gab eine Überweisung in die Kinderklinik. Dann ging es schnell. Die Folge war: über 1 Jahr Chemotherapie mit Haarausfall, viele Operationen und alles, was dazu gehört: das Immunsystem wurde heruntergefahren und ich war ständig sehr müde und erschöpft. Kinderkrebs verläuft oft sehr aggressiv. Die Zellen vermehren sich bei Kindern schneller, also auch die Krebszellen, die Chemo war deshalb in regelmässigen Abständen: Jeweils 5 Tage Chemo im Krankenhaus, dann 3 Wochen zu Hause, dann wieder 5 Tage Chemo, über das über mehrere Monate. Danach wurde der Tumor operativ entfernt und anschliessend nochmals ein halbes Jahr Chemotherapie, um sicherzugehen, dass alle Krebszellen abgetötet sind.

Ich war damals in der 3. Sekundarstufe, wurde aus der Schule genommen, mein Leben spielte sich zwischen nur noch zwischen Daheim und dem Spital ab.

Hast du dich mit deiner Krankheit auseinandergesetzt, mit dem Krebs?

Ja, ich habe versucht, meine Krankheit zu verstehen. Als Kleinkind wäre es aber vielleicht einfacher gewesen, da man die Dimensionen der Krankheit nicht wirklich erfassen kann.

Ich habe mich auch im Internet informiert und war mir der Tragweite bewusst. Es war schwer für mich, mich mit 15 Jahren mit dem Tod auseinandersetzen zu müssen. Allmählich bin ich auch in eine Depression gefallen und musste auf Psychopharmaka zurückgreifen.

Wie hat dein Umfeld reagiert?

Die Familie und Freunde waren enorm geschockt, die Hilfsbereitschaft und das Mitgefühl sehr gross. Aber einige Freundschaften sind auseinander gegangen – aus den Augen, aus dem Sinn – weil ich auch nicht mehr zur Schule ging. Das war aber wahrscheinlich nicht absichtlich. Die Familie, insbesondere meine Mutter und mich, hat meine Krankheit aber zusammengeschweisst.

Du hast 1 Jahr in der Schule gefehlt, wie war das für dich?

Die 3. Sek habe ich verpasst, dann aber trotzdem den Übertritt ins Kurzzeitgymnasium geschafft. Im ersten Gymer-Jahr habe ich noch viel gefehlt, das war aber abgesprochen. Die Schule hatte damals volles Verständnis, es war klar, dass ich wiederholen würde.

Die KlassenkameradInnen hatten eher Berührungsängste. Ich lief an Stöcken, hatte eine Glatze (Perücke mochte ich nicht), es entstanden somit zunächst keine Freundschaften. Sie waren mental an einem anderen Punkt als ich. Alle waren voller Lebensfreude. Ich war damit beschäftigt, wieder ins Leben zu finden.

Gibt es Langzeitfolgen? Welche?

Wenn man Krebs hatte, gilt man nach 5 Jahren als geheilt. Man geht deshalb nach der Erkrankung regelmässig in die Untersuchung. Ich hatte glücklicherweise seitdem nie einen Rückfall und gelte seit meiner  5-Jahreskontrolle vor 4 Jahren als geheilt. Auch die 10-Jahres-Grenze nächstes Jahr sieht sehr gut aus.

Dass ich mehr Erholungspausen als andere brauchte verstanden die Lehrer*innen zwar, trotzdem musste ich um 8 Uhr in der Schule sein und auch die Absenzen Regelung galt für mich wie für alle anderen. Hier hätte ich mir wirklich mehr Verständnis gewünscht, aber die Lehrpersonen wissen meistens einfach zu wenig über die Krankheit und die Langzeitfolgen Auch habe ich überlegt, einen Nachteilsausgleich zu beantragen beispielsweise für eine Prüfungszeitverlängerung. Das stellte sich aber schnell als schwierig heraus, wenn man nicht in den Katalog von ADHS, Legasthenie, etc. passt.

Heute geht es mir grundsätzlich sehr gut, auch an der Uni. Ich gehe noch jährlich in die Nachsorgekontrolle. Hierbei stehen insbesondere die Überwachung möglicher Langzeitfolgen wie Herz- und Nierenprobleme im Vordergrund. Auch habe ich noch immer Gelenkprobleme im linken Bein.

Ich beobachte, dass ich das Grundvertrauen in meinen Körper verloren habe. Die Angst, dass der Krebs wiederkommen könnte, ist immer präsent. Zum Beispiel wenn ich irgendwo Schmerzen habe, die ich nicht kenne.

Ausserdem ist es unklar, wie es um meine Fruchtbarkeit steht. Die Chemotherapie wirkt sich aggressiv auf die Eierstöcke aus, ich habe mir deshalb damals einen Eierstock entnehmen lassen, der eingefroren wurde. Zur Erklärung: Je nach Alter und Art der Erkrankung gibt es bei Jungen und Mädchen verschiedene Optionen, die Fruchtbarkeit zu erhalten. Dazu gehört bei Kindern vor der Pubertät die Entnahme und das Einfrieren von Eierstock – bzw. Hodengewebe, das zu einem späteren Zeitpunkt reimplantiert werden kann.

Machst du denn Sport, geht das?

Ab und zu ja, ich bin vor allem gerne in der Natur.

Was ist für dich noch wichtig zum Thema schulische Integration?

Nur weil man die Spätfolgen von aussen nicht mehr sieht, ist es noch lange nicht gut! Sobald es nicht mehr offensichtlich ist, muss man kämpfen, sonst muss man sich arrangieren. Ängste bleiben, die traumatischen Erfahrungen hinterlassen Spuren! Der psychische Aspekt ist wichtig, den darf man nicht vernachlässigen. Ich wünsche mir, dass Schulen und Ausbildungsstätten sensibilisiert werden, dass sie die Zusammenhänge verstehen oder vielleicht auch regelmässig das Gespräch suchen, Verständnis zeigen, auch noch 1,2,3 Jahr(e) später. Der Weg ins normale Leben zurück ist kein einfacher, aber das wird von uns Kinderkrebs- Überlebenden einfach erwartet. Ich wünschte mir, dass man uns mehr Zeit und Raum geben würde, damit wir uns schrittweise wieder ins Leben einfinden können. Es braucht viel Energie, sich jedes Mal erklären zu müssen, wieso man etwas mehr Zeit braucht als andere. Diese Energie bräuchten wir aber gerade für uns selbst und unseren Heilungsprozess, der weit über das Therapieende hinausgeht.

 

Liebe Julia, danke für deine Offenheit und alles Gute für die Zukunft.

 

Hinterlasse einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

*