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Kinderwunsch trotz Krebs – ein oft vergessenes Thema

Kinderkrebs Schweiz hat eine neue Sensibilisierungskampagne lanciert, bei welcher es um das oft vergessene Thema Fertilität geht. Können Kinder und Jugendliche, die Krebs hatten, später selber eine Familie gründen? Wie sieht es mit ihrer Fruchtbarkeit aus? Welche Risiken gibt es? Die Kampagne setzt sich dafür ein, dass Beratungsangebote verbessert werden und dass auch die Grundversicherung alle notwendigen Kosten für fertilitätserhaltende Massnahmen übernimmt

 

Fertilität und Kinderwunsch – die neue Sensibilisierungskampagne von Kinderkrebs Schweiz

(Anzeige) Vier von fünf krebskranken Kindern und Jugendlichen können heutzutage geheilt werden, aber mehr als 80 Prozent der sogenannten Survivors kämpfen mit Spätfolgen. Weil sich diese negativ auf die Fruchtbarkeit und psychosexuelle Gesundheit auswirken können, sind Präventivmassnahmen essentiell. Da nicht alle Kosten für fertilitätserhaltende Verfahren von den Krankenkassen übernommen werden, sind die Betroffenen einer doppelten Belastung ausgesetzt. Ein umfassendes Beratungsangebot ist deshalb umso wichtiger.

Wenn die Diagnose Krebs fällt, gilt es nicht nur, den ersten Schock der Diagnose zu verarbeiten, sondern auch Fragen zu klären und konkrete Entscheidungen für die Zukunft zu treffen. Da Krebsbehandlungen zu einem Verlust oder einer Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit führen können, muss vor dem Beginn der Behandlung entschieden werden, ob und welche fertilitätserhaltenden Massnahmen in Frage kommen. Die Herausforderungen für Kinder wie Eltern sind vielfältig und häufig ist das Wissen über die Möglichkeiten lückenhaft, weil Fertilitätsberatungen vor und nach einer Therapie noch nicht systematisch überall angeboten werden. Hinzu kommt, dass bei Kinderkrebs – weil es Kinder sind – das Thema Fertilität oft noch kein Thema ist und es vergessen geht.

 

Schutz vor Unfruchtbarkeit, auch eine Frage der finanziellen Möglichkeiten

In den letzten Jahren wurden verschiedene Behandlungsansätze entwickelt, um die Chancen auf den Erhalt der Fertilität bei Mädchen und Jungen zu verbessern. Seit 2019 werden bei postpubertären Kindern die Kosten für die Entnahme und das Einfrieren von Geschlechtszellen von den Krankenkassen übernommen. Bei Kindern vor der Pubertät müssen weiterhin die Eltern für fertilitätserhaltende Massnahmen aufkommen. Eine nicht unerhebliche Anzahl, da die Mehrheit der krebsbetroffenen Kinder jünger als vier Jahre ist. Ebenso wenig gedeckt sind Kosten, die nach einer Therapie anfallen können, wie zum Beispiel die präventive Entnahme von Eizellen bei einer drohenden vorzeitigen Menopause oder eine künstliche Befruchtung im Erwachsenenalter. Damit kann der Kinderwunsch nicht nur eine Frage der Fertilität, sondern auch der finanziellen Möglichkeiten werden.

Etwa 80 Prozent der sogenannten Survivors kämpfen mit Spätfolgen der Krankheit und der Therapie. Neben psychosexuellen Problemen, die sich einschränkend auf ihre Lebensqualität auswirken können kommen sichtbare Spuren hinzu, wie zum Beispiel Wachstumsstörungen, schütteres Haar oder Narben und sexuelle Funktionsstörungen, die es schwieriger machen können, eine positive Einstellung zu seinem Körper und sich selbst zu entwickeln. Dann können die Betroffen unter Umständen besonders gefordert sein, wenn es darum geht, sich überhaupt für Beziehungen zu öffnen, auf Partnersuche zu gehen und vielleicht später einmal eine eigene Familie zu gründen.

Ich habe mit Nicole Seiler (24) gesprochen, einer Survivorin, die als Kind an einem Nierentumor (Wilmstumor) erkrankte. Sie hat seit kurzem den Kinderwunsch und erzählt mir im Interview, wie sie damit umgegangen ist und umgeht.

 

Liebe Nicole, du hattest als kleines Kind Krebs, giltst du heute als geheilt?

Ich gelte medizinisch gesehen als „geheilt“. Aber das heisst nur, dass keine Ursprungszellen meines Krebses, den ich mit 4 Jahren hatte, nachgewiesen werden können. Und falls ich nochmals an Krebs erkranke, es nicht der gleiche Stamm an Krebszellen ist.

Ich fühle mich heute gesund, aber so gesund wie Gleichaltrige werde ich ja nie sein.

 

Welche Beeinträchtigungen hast du heute noch?

Ich habe nicht das Gefühl, Beeinträchtigungen zu haben, da ich mich ja nicht anders kenne. Aber ich habe nur noch eine Niere (die rechte wurde entfernt), mein Herzmuskel ist geschwächt (wegen der Chemotherapie/Bestrahlung) und meine Lunge ist angeschlagen (ich hatte da auch Metastasen und eine Bestrahlung). Daher bin ich gezwungen, meinen Lebensstil etwas gesunder zu planen als Gleichaltrige. Ich muss meine Ernährung im Griff haben, regelmässig Sport treiben, darf keinen bis sehr wenig Alkohol trinken und Tabak oder Drogen sind tabu. Und natürlich habe ich meine regelmässigen Kontrollen im Rahmen meiner Nachsorge.

 

Das ist für mich als Ernährungsberaterin sehr spannend, denn meiner Meinung nach kann die Ernährung ja den Körper gut unterstützen. Wie ernährst du dich denn?

Ich versuche, mich sehr gesund zu ernähren. Weil ich nur noch eine Niere habe, ist das Risiko für eine Arteriosklerose höher. Da ich auch auf meine Blutfettwerte, also aufs Cholesterin, achten muss, esse ich fettarm, mit wenig Zucker, viel Gemüse und Obst etc. Es ist nicht immer einfach. Aber auch hinsichtlich einer kommenden Schwangerschaft möchte ich vorbereitet sein.

 

Funktioniert denn dein Immunsystem heute gleich wie bei anderen Gleichaltrigen?

Naja, ich merke, dass ich etwas schneller angeschlagen bin als Gleichaltrige, wenn ich mal schlecht schlafe oder krank bin. Und bestimme Herausforderungen in sozialen Situationen sind auch nicht immer einfach. Vor allem, weil manche Menschen kein Verständnis dafür haben, dass meine Krebserkrankung, die 20 Jahre her ist, heute noch Auswirkungen auf meinen Gesundheitszustand und mein Wohlbefinden hat. Und das Risiko für Späterkrankung ist natürlich auch nicht zu unterschätzen.

 

Wenn wir über das Thema Kinderwunsch sprechen, war das damals ein Thema, wurde es angesprochen?

Mit 4 Jahren bei der Diagnose wurde meinen Eltern nicht wirklich informiert. Die Ärzte glaubten nicht, dass die Erkrankung für meine Fruchtbarkeit ein Problem darstellen würde. Damals hat man sich in erster Linie auf meine Genesung und die unmittelbaren Schäden konzentriert.  So hätten zum Beispiel das Gehör oder die Nerven Schäden davon tragen können. Glücklicherweise ist davon bei mir nichts aufgetreten. Die Ärzte wussten ja damals auch nicht wirklich, welche Langzeitfolgen die Behandlungen haben könnten.

 

Und wann wurde bei dir das Thema Kinderwunsch ein Thema?

Also ich weiss schon seit der Pubertät, dass ich eigentlich Kinder will. Aber ich habe mich nie wirklich damit beschäftigt, da alles noch so weit weg schien. Vor zwei Jahren bei der Nachsorgeuntersuchung hat die Ärztin erstmals gesagt, dass ich überlegen solle, ob ich Untersuchungen machen und Massnahmen ergreifen möchte. Sie meinte, es wäre gut, wenn ich mir bis ich 25 sei, eine Art „Schlachtplan“ überlegen würde..

Ich habe es aber nur so semi ernst genommen, da ich in keiner Beziehung war und damals keine wollte…Als ich aber meinen jetzigen Freund Dominik kennengelernt habe, wurde mir bewusst, dass die Vorstellung, Kinder zu bekommen, nicht mehr so abwegig ist. Nach einigen Monaten habe ich in der Frauenklinik einen Termin bekommen, um zu untersuchen, ob ich überhaupt Kinder bekommen kann.

Und wie es aussieht, sollte schwanger werden kein Problem sein (laut der  Hormonspiegelbestimmung und des Ultraschalls). Aber während der Schwangerschaft müsste ich einige zusätzliche Untersuchungen machen und mich gut im Auge behalten. Um sicherzustellen, dass mein Körper die Schwangerschaft übersteht und ich das – aufgrund meiner körperlichen Einschränkungen  – sozusagen überlebe.

 

Was könnte denn passieren?

Mein Kardiologe hat dies schon vor Jahren angesprochen. Es könnte sein, dass das Herz allenfalls nicht mitmacht, da es überfordert sein könnte. Dies sollte man deshalb von Anfang an beobachten. Und auch ob der Sauerstoffgehalt in der Lunge stimmt und der Körper generell die Veränderung im Körper mitmacht.

 

Wie war die Aufklärung durch die Ärzte damals, was würdest du dir aus heutiger Sicht anders wünschen?

Ich wäre einfach froh gewesen, wenn das ganze Thema Fertilität und Kinderwunsch früher besprochen worden wäre. Und ich hätte mir gewünscht, dass ich genauere Informationen zu den verschiedenen Untersuchungen oder Möglichkeiten bekommen hätte, falls sich herausgestellt hätte, dass ich keine eigenen Kinder bekommen könnte.

Wie sieht denn eine Fertilitätsbehandlung aus? Hattest du schon eine oder hast Du es dir überlegt?

Überlegt ja. Ich habe es damals mit Dominik besprochen, vor den Untersuchungen. Wir haben zusammen diskutiert, ob ich etwas machen möchte, falls sich herausstellen würde, dass ich unfruchtbar bin.

Man könnte zum Beispiel eine Hormonbehandlung machen in gewissen Fällen und versuchen, so „auf natürlichem Weg“ schwanger zu werden. Dann gibt es ja noch die künstliche Befruchtung. Aber die ist auch mit Hormonbehandlungen und mit verschiedenen Eingriffen verbunden.

Wir haben uns schlussendlich dagegen entschieden, dass ich also keine dieser Behandlungen in Anspruch nehmen würde, falls ich unfruchtbar wäre. Wir haben uns gesagt: „entweder klappt es auf natürlichem Weg, wenn wir Kinder wollen. Und wenn nicht, suchen wir nach einer andere Möglichkeit, Kinder zu haben, die nicht eine Behandlung zur Folge hätte, wie z. B. Adoption oder Pflegekind“.

Das einzige, was ich mir überlege, ist, ob ich mir präventiv Eizellen entnehmen lassen soll. Dann hätte ich „fruchtbarere“ Eizellen für den Fall, dass ich erst später Kinder haben möchte. Das könnte wichtig sein, weil ich aufgrund der Spätfolgen der Krebstherapie  früher in die Menopause kommen könnte. Aber da müsste ich ja auch eine künstliche Befruchtung machen…deswegen bin ich hier etwas unschlüssig. Dazu kommt, dass die Kosten für diese Massnahmen nicht von den Krankenkassen übernommen werden. Ich müsste alles selber bezahlen und das ist ziemlich kostspielig….

 

Was sollte sich denn künftig ändern?

Ich würde mir eine bessere Aufklärung für Patienten,  Eltern und auch Partner wünschen. Idealerweise würde dieses Angebot umfassend über alle diese Themen informieren, also über die Risiken aber auch Optionen, die es gibt, um die Fruchtbarkeit zu erhalten. Und natürlich müsste sich bei der Kostenübernahme grundlegend etwas ändern. Es kann nicht sein, dass Survivors, die als Folge der Therapie vielleicht unfruchtbar geworden sind, selbst für Kosten einer künstlichen Befruchtung aufkommen müssen. Zudem braucht es auch psychosoziale Beratungsangebote für Menschen, die vielleicht Mühe haben, überhaupt einen Partner zu finden oder mit psychosexuellen Problemen kämpfen. Oft wissen sie nicht, wie sie sich verhalten oder wohin sie sich wenden sollen. Alle diese Bereiche gehören zum Kinderwunsch dazu, das geht weit über die reine Frage der Fruchtbarkeit hinaus.

 

Liebe Nicole, vielen Dank für deine Offenheit und alles Gute für die Zukunft.

 

 

Kinderkrebs Schweiz

Der Dachverband Kinderkrebs Schweiz (KKS) wurde 2015 von namhaften Kinderkrebsorganisationen gegründet. Im Fokus der Tätigkeiten steht der gemeinsame Kampf gegen Krebserkrankungen und deren Spätfolgen bei Kindern und Jugendlichen mit dem Ziel, die Situation der Betroffenen schweizweit zu verbessern. Dazu gehören die Optimierung der Behandlungsmöglichkeiten, die Entwicklung neuer und für alle zugänglicher Therapien und Medikamente, eine bessere psychosoziale Betreuung der betroffenen Familien sowie eine optimale Nachsorge und Betreuung für Kinderkrebsüberlebende, die Survivors. Kinderkrebs Schweiz engagiert sich in all diesen Bereichen auf nationaler Ebene mit eigenen Projekten, PR- und Sensibilisierungskampagnen, politischem Engagement, einer nationalen Anlaufstelle für Survivors sowie der Bereitstellung von finanziellen Mitteln. Mehr Informationen unter www.kinderkrebs-schweiz.ch

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