Kinderkrebs: Grosser Bedarf bei kindergerechten Medikamenten

Jedes Jahr erhalten in der Schweiz etwa 350 Kinder und Jugendliche die schockierende Diagnose Krebs. In den letzten 50 Jahren wurde viel geforscht, deshalb können heute vier von fünf der jungen Patienten erfolgreich behandelt werden. Dennoch stirbt in der Schweiz noch fast jede Woche ein Kind an Krebs und rund 80 Prozent der ehemaligen Kinderkrebspatienten kämpfen oft ein Leben lang mit Spätfolgen ihrer Behandlung. Eltern von krebskranken Kindern wünschen sich noch effizientere Behandlungsmöglichkeiten und einen besseren Zugang zu innovativen Therapien. Die Entwicklung neuer Krebstherapien, die auf Kinder zugeschnitten sind, macht jedoch nur langsam Fortschritte. Ich habe mit einer betroffenen Mutter gesprochen und sie erzählt uns ihre Geschichte.*

Liebe Camilla, du hast Zwillinge und eines deiner Kinder hatte Krebs. Erzähl uns doch kurz deine Geschichte:

Oscar und Elin wurden im März 2015 in der 27. Schwangerschaftswoche geboren. Bereits lange vor der Geburt wurden wir von den Ärzten vor den Entscheid gestellt, den Jungen sterben zu lassen, damit seine Schwester bessere Überlebenschancen hätte. Mein Körper hatte sich aber für beide entschieden, kurz darauf kamen die Zwillinge als Frühchen zur Welt. Nach 17 Wochen Neonatologie durften wir nach Hause.

Zu Weihnachten im gleichen Jahr – die Zwillinge waren knapp neun Monate alt, wollten wir dann wie immer meine Familie in Schweden besuchen. Weil aber bei Oscar die Milch immer hochkam, mussten wir dort in die Notaufnahme. Er hatte bereits zuvor in der Schweiz einen geschwollenen Bauch, aber Kinderarzt und Mütterberatung hatten uns gesagt, es käme von der Umstellung auf feste Nahrung. Bei einem Extremfrühchen sei das gut möglich, sagten sie.

Auf dem Notfall im Schweden wurde aber ein Ultraschall gemacht. Sehr schnell war klar: Oscar hatte eine grössere Masse in seinem Bauch und wir mussten bleiben. Drei Tage verbrachte ich mit Oscar im Spital. Dann hat uns die Rega geholt und für weitere Untersuchungen nach Bern gebracht.

Ab da ging alles schnell! Nach mehreren Tests war klar, dass Oscar einen ca. 1 kg schweren Tumor im Bauch hatte, direkt neben der Leber. Für eine Biopsie wurde er dann ins Unispital Genf geschickt, zu einem Leberspezialisten. Zurück im Inselspital startete direkt die erste Chemo von insgesamt vier Chemos. Es folgten zwei Operationen, bei welchen zweidrittel seiner Leber entfernt wurde.

Das tönt nach einer sehr schwierigen Zeit, wie hast du das gemeistert – oder ihr als junge Familie?

Klar es war ein grosser Schock! Gerade hatten wir eine Frühgeburt überlebt und gemeistert, dann noch das. Und wir hatten in der Schweiz keine Familie zur Unterstützung da, so haben wir sehr bald ein Aupair-Mädchen gesucht, die sich um Elin kümmern konnte, da ich oft bei Oscar im Spital war (und sie nicht mit durfte). Und Papa musste ja noch Geld verdienen.

Wir wussten zwar,  dass es Elin sehr gut ging und sie eine liebevolle und fürsorgliche Begleitung hatte, trotzdem war das schlechte Gewissen bei uns gross. Bei Papa, weil er uns allen nicht gerecht werden konnte; bei mir, weil ich mich als Rabenmutter fühlte, da ich Elin vernachlässigen musste. Auf der anderen Seite musste ich Oscar immer wieder alleine im Spital zurück lassen.

Ich habe mich damals gegen die Aussenwelt verschlossen, wollte keine unnütze Energie verbrauchen. Ich verschloss mich sogar gegenüber den Menschen im Spital. Oscar und ich waren in unserer eigenen Welt. Ich konnte diese Sätze «Es kommt schon gut» oder «Mach dir nicht so viele Gedanken» nicht mehr hören.

Aber ich hatte auch psychologische Begleitung auf der Onkologie, die ich in Anspruch nahm. Manchmal war es zu viel für mich. Die Physio- und Musiktherapie haben Oscar und mir sehr geholfen. Die Physio brachte ein bisschen Normalität, das hatten wir schon in der Neonatologie. Und die Musiktherapie brachte Oscar zum Lachen und das tat meinem Herz gut. Manchmal haben wir auch Besuch bekommen von Pflegerinnen der Neonatologie. Das hat mir sehr viel bedeutet.

Und wie ist das Verhältnis der beiden Zwillinge heute zueinander?

Sie sind ein Herz und eine Seele! Jetzt mit sieben wollen sie immer noch hin und wieder in einem Bett schlafen. Elin ist Oscars Beschützerin und Oscar Elins Beschützer. Sie haben eigentlich nie Streit, etwas Eifersucht kann aber vorkommen.

In Elin ist die Zeit von Oscar viel stärker verankert als wir dachten. Sie war ja noch so klein. Aber sie hat noch heute Angst, wenn wir für eine Kontrolle ins Spital oder zum Arzt müssen mit Oscar. Sie muss sich dann vergewissern, wann wir nach Hause kommen und will genau wissen wie der Tag aussieht. Auch ihre Angst vor dem Spital und vor Ärzten ist sehr gross und endet manchmal fast in Panik, deshalb werden wir jetzt mit ihr zu einer Kinderhypnosetherapie gehen.

Welche Langzeitfolgen des Krebs hat Oscar und wie geht es ihm heute?

Survivor haben meistens auch Spätfolgen, das war uns bewusst. Aufgrund der Chemo hat Oscar einige Schwierigkeiten, welche die Schule als ADHD bezeichnet. Wir arbeiten aber daran und erhalten tolle Unterstützung von Ärzten im Inselspital.

Ausserdem leidet Oscar an Hörverlust in den hohen Frequenzen. Wir sind jetzt gerade daran, dass er ein Hörgerät bekommt. Er hat auch öfters etwas Probleme mit der Verdauung was aber „normal“ ist nach einer grossen Bauchoperation. Ab und zu hat er auch Migräne und und er steht natürlich unter laufender Beobachtung.

Sonst ist er heute ein sehr aufgestellter, cleverer, entdeckungsfreudiger, neugieriger kleiner Junge der immer freundlich und offen auf Leute zugeht.

Das finde ich eine sehr schöne Sache, und wichtig ist vor allem die Aussage, dass er Medikamente bekommt, die eigentlich gar nicht für Kinder gedacht sind. Wie stehst du zu diesem Thema?

Ich denke da immer an das tolle Lied von Whitney Houston «Greatest Love of All». Da singt sie «I  believe the children are our future, teach them well and let them lead the way…»

Die Kinder sind unsere Zukunft! Und auf Kinder wird bei der Medikamentenentwicklung keine Rücksicht genommen. Da frage ich mich, wieso? Wir geben ganz viel Geld dafür aus, damit wir länger leben können aber nicht dafür, dass ein Kind eine bessere Überlebenschance bekommt. Meiner Meinung nach müsste da ein Teil der Forschungsgelder auch für die Kinder-Medikamente und somit die Zukunft der Kinder verwendet werden!

Dafür werde ich mich immer einsetzen, weil die Kinder eine Zukunft verdient haben.

Ohne Forschung keine Heilung für Kinder mit Krebs

Was bedeutet denn die Forschung für dich, wie wichtig ist sie für krebskranke Kinder?

Ich habe mir von Anfang an viele Gedanken gemacht, wie es Oscar als Erwachsener gehen wird, an welchen Spätfolgen er noch leiden wird. Deshalb war es für uns von Anfang an klar, dass wir an klinischen Studien teilnehmen, um die Forschung voranzutreiben. Wir möchten so auch anderen Familien helfen, damit andere betroffene Kinder vielleicht noch bessere (oder auch mildere) Behandlungen bekommen werden.

 

Liebe Camilla, herzlichen Dank für das Interview und deine Offenheit. Ich wünsche euch als Familie und Oscar speziell alles Gute und Gesundheit.

Aktuelle Kampagne von Kinderkrebs Schweiz

Auf der Website findet man Informationen zur aktuellen Kampagne „Hoffen auf Heilung„.  Das Hauptthema betrifft aktuell die Forschung: Weil sich Investitionen in die Kinderkrebsforschung aufgrund der geringen Fallzahlen für die Pharmaindustrie  nicht lohnen, müssen zur Behandlung von krebskranken Kindern oft Arzneimittel verwendet werden, die eigentlich nur für Erwachsene zugelassen sind. Zudem gibt es grosse zeitliche Verzögerungen bis diese Medikamente auch für krebskranke Kinder zugänglich gemacht werden können. Kinder erkranken jedoch nicht an den gleichen Tumorarten und reagieren anders auf die Therapien. Obwohl viele der klassischen Medikamente aus der Erwachsenenmedizin bei Kindern sehr wirksam sind, ist deren Anwendung problematisch: Ihr Einsatz im pädiatrischen Bereich bleibt ungenügend untersucht und hat oft toxische Auswirkungen. Dies führt vor allem bei Kindern, die sich mitten im Wachstum befinden, zu akuten Nebenwirkungen und häufig zu mittel- bis schwerwiegenden Spätfolgen. Für junge Krebspatienten wiederum, die nicht auf die üblichen Therapien ansprechen oder bei denen der Krebs zurückkommt, reichen die vorhandenen Behandlungsoptionen nicht aus. Umso dringlicher ist es deshalb, die Pharmaindustrie dazu zu bewegen, geeignete Medikamente für Behandlung von Kinderkrebs zu entwickeln.

 

*Dieser Beitrag ist eine bezahlte Kooperation mit Kinderkrebs Schweiz.

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