Diagnose Hirntumor – und das bei einem Kind!

Wer die Diagnose Krebs bekommt, für den bleibt oft kurz die Welt stehen. Wenn es dazu noch ein Kind ist, dann ist es besonders schlimm. Doch ein Kind weiss noch gar nicht, was Krebs bedeutet – die Eltern hingegen wissen es. Wie gehen Kinder (und ihr Umfeld) damit um? Ich habe mit einer Survivorin gesprochen.

 

Ich weiss noch, als ich in der dritten Klasse war. Da hatte die Schwester einer Mitschülerin Krebs, und zwar war es ein Hirntumor. Ich wusste damals noch nicht mal richtig, was Krebs ist. Ich sehe es gerade jetzt bei meinem bald 5-jährigen Sohn – der sich, als ich es ihm erklären wollte – wie soll es anders sein – einen richtigen Krebs vorstellt, der im Körper lebt. Auch uns in der Schule wurde es damals erklärt. Als ein halbes Jahr später die Schwester einer zweiten Schülerin auch einen Hirntumor hatte, waren wir ziemlich betroffen. Viel mehr weiss ich aber nicht mehr, nur dass die eine Schwester etwa nach einem Jahr den Kampf verloren hatte. Ich weiss auch nicht mehr, wie wir damit umgegangen waren, nur dass es einfach schlimm war, und ich bis heute manchmal daran denke.

Jetzt – wo ich Kinder habe – stelle ich mir so etwas als besonders schlimm vor. Deshalb ist es mir ein Anliegen, das Thema aufzugreifen und so auch die aktuelle Informationskampagne von Kinderkrebs Schweiz zu kommunizieren. Ich habe die Möglichkeit bekommen, mit einer jungen Frau zu sprechen, die einen Hirntumor hatte, als sie ein Kind war.

Von Krebs ist niemand ausgegangen

Überlebende von Krebs nennt man Survivor – und Anja Flury, 26, Mama eines kleinen Sohnes ist so eine Survivorin, die den Krebs überlebt hat. Heute arbeitet sie im KV-Bereich, fast 80%, gilt als geheilt und kann das Leben auch wieder geniessen – doch sicher mit einer anderen Sicht auf gewisse Dinge – denn das Leben ist für sie nicht mehr selbstverständlich.

Die ganze Kindheit über hatten sie immer wieder Kopfschmerzen geplagt, schon als kleines Kind. In der Familie war Migräne da, man hat sich nicht gefragt. Man hat mit Brille probiert, hat nichts genützt.

Mit 11.5 kam sie von der Schule nach Hause, hatte tagelang Kopfschmerzen. Der Arzt gab ihr  Schmerzmittel, doch die haben nicht geholfen. Dann nach 3 Tagen schickte sie der Arzt notfallmässig ins Kispi Züri. Es gab ein CT und die Ärzte entdeckten einen Tumor mit einer grossen Zyste. Der Tumor hat wohl die Zyste ausgelöst, und dies hat die Kopfschmerzen verursacht. Seit wann der Tumor schon da war, kann man bis heute nicht sagen. Es gab sofort eine Notfalloperation, um den Druck abzubauen. Anja selber weiss nicht mehr sehr viel, nur dass die Kopfschmerzen so stark waren und dass sie ins Spital ging. Für sie ist es irgendwie ein grosses schwarzes Loch.

 

„Wenn ich zurückschaue, ist nur ein grosses schwarzes Loch.“

 

Ein geschocktes Umfeld, eine erfolgreiche Operation

Klar waren vor allem die Eltern sehr geschockt, damit hatte niemand gerechnet. Und auch nicht, dass sie sofort reagieren mussten, am gleichen Tag. Natürlich hatten sie grosse Angst, dass etwas schief laufen könnte. Doch zum Glück fand man keine Metastasen und der Tumor war relativ gut zugänglich. Einige Tage später folgte dann in einer mehrstündigen Operation die Entfernung des Tumors. Die ganze rechte Seite wurde aufgemacht, alles Tumorgewebe rausgenommen – die Zyste jedoch konnte nicht entfernt werden. Bis heute ist sie in Anjas Kopf, sie ist nur noch halb so gross, aber eine Entfernung wäre zu riskant.

Anja war mehrere Wochen im Spital. Alle 6 Monate gab es danach eine Kontrolle, dann jedes Jahr. Heute noch alle 2 Jahre. Die Zyste ist seit Jahren regressiv oder stabil. Man sieht zum Glück auch nichts. Die Narben: sie verlaufen oben in der Mitte auf dem Kopf und entlang der rechten Seite – mit langen Haaren und Scheitel sieht man nichts. So muss Anja auch nicht Fremden erklären, warum sie diese Narben hat. Heute ist Anja ganz einfach glücklich, dass der Tumor gerade noch rechtzeitig gefunden wurde und entfernt werden konnte!

 

„Eine zeitlang ging ich nicht mehr gerne in die Schule!“

 

Ein schwerer Start in der Schule

Für die Mitschülerinnen war es sicherlich auch ein Schock, sie hatte doch nur Kopfschmerzen und plötzlich war Anja im Spital. Einige Kinder haben ihr Geschenke gemacht, aber niemand kam sie besuchen, ausser ihr gleichaltriger Nachbar. Teilweise wollte sie aber auch niemanden sehen. Mit einem Blick zurück vermutet Anja, dass viele auch überfordert gewesen seien.

Als sie nach 2 Monaten wieder in die Schule ging, hatte sie eine Art Sonderbehandlung: sie durfte eine Kappe anziehen (ihre Haare waren noch immer ganz kurz), ihr war oft kalt oder sie war schwach – sie durfte nach Hause, wann immer sie wollte. So hatte sie einige Vorzüge, welche die  anderen Kinder nicht verstanden haben. Vielleicht wurde auch zu wenig aufgeklärt und gesprochen. Teilweise kam es ihr sogar wie Mobbing vor, denn die Kinder befanden sich an der Schwelle zu Teenies, man wollte cool sein – und das war sie nicht, sie war anders.

Heute wird glücklicherweise mehr Informationsarbeit geleistet, es gibt Vereine, die Klassen aufklären und die Lehrer unterstützen können.

Anja hat bis heute keine Folgen und sie gilt als gesund – doch ihre Geschichte gehört zu ihr und verfolgt sie. Als es vor einiger Zeit um das Thema „Kinderwunsch“ ging, kam alles wieder hoch: Es plagten sie Fragen wie: könnte dies vererbt werden? Was, wenn ich wieder etwas hätte und dann ein kleines Kind zurücklasse? Es brauchte die Bestätigung des Arztes, dass alles ok ist, dass es kein Risiko ist, und auch, dass die Schwangerschaft an sich kein Risiko darstellt.

 

Mitarbeit bei Kinderkrebs Schweiz

Im Jahr 2013 hat die Kinderkrebshilfe Anja und alle im Kinderkrebs-Register Betroffenen zu einer Infoveranstaltung eingeladen, um sie zusammen zu bringen. Da war sie ca. 19 Jahre alt, gerade ausgezogen, hatte soeben die Abschlusskontrolle im Spital und die Bestätigung, dass alles gut war. Das Thema war ihr wichtig. Auch um das Thema aufzuarbeiten. Das Projekt „Kinderkrebs Schweiz“ wurde damals vorgestellt, und daraus entstand 2015 der Verein Kinderkrebs Schweiz  als Dachverband mehrerer Kinderkrebsorganisationen. Kinderkrebs Schweiz setzt sich. Im Fokus der Tätigkeiten steht der gemeinsame Kampf gegen Krebserkrankungen und deren Spätfolgen bei Kindern und Jugendlichen mit dem Ziel, die Situation der Betroffenen schweizweit zu verbessern. Dies geschieht durch Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagnen, politischem Engagement, die Bereitstellung von finanziellen Mitteln, zum Beispiel für die Forschung, sowie einer nationalen Anlaufstelle für Survivors.

Wichtiger Punkt dabei war das Mentoring: Ehemalige Betroffene bekommen eine Ausbildung und dürfen aktuell kranke Kinder im Spital unterstützen. Anja hat das einige Zeit gemacht, aber die Anfrage war nicht so gross seitens Spitäler. Viele Familien hätten aber bisher profitiert, denn als frisch betroffene Eltern oder Betroffene ist man froh, mit Menschen in einer ähnlichen Situation zu sprechen. Anja selbst ist in einer Gruppe von ca. 20 Betroffenen und noch immer ist für sie der Austausch unter Gleichgesinnten sehr wichtig.

Sie baut nun in der Romandie etwas Ähnliches auf. Im 2018 kam Anja Flury in den Vorstand von Kinderkrebs Schweiz.

 

Die neue Sensibilisierungskampagne von Kinderkrebs Schweiz zum Thema „Hirntumore“

Jährlich erkranken rund 300 Kinder und Jugendliche an Krebs. Tumore im Gehirn und Rückenmark zählen nach Leukämien zu den häufigsten Krebsarten in dieser Altersgruppe. Sie machen circa ein Viertel aller Krebsdiagnosen aus und sind die Hauptursache der krebsbedingten Kindersterblichkeit. Bei Hirntumor-Patienten können die Spätfolgen der Krankheit und Therapie besonders gravierend sein, weil das Gehirn unter anderem das Lernen und das Gedächtnis, die Sinne und die Emotionen kontrolliert. Da bei ehemaligen Hirntumor-Patienten auch die geistige Leistungsfähigkeit betroffen sein kann, benötigen sie eine Nachsorge, die nicht nur medizinische, sondern auch psychosoziale und berufliche Aspekte beinhaltet. Mit seiner neuen Sensibilisierungskampagne informiert Kinderkrebs Schweiz über das Thema „Hirntumor“ und macht auf die vielfältigen Herausforderungen, mit denen sowohl Kinder als auch Eltern konfrontiert sind, aufmerksam.

Link zur Kampagne

 

 

 

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